Wiedervorlage 10. Mai 2023
Ausstellung, Kontext, Initiative
Am 10. Mai 1933 – vor 90 Jahren – entzündeten Angehörige der Deutschen Studentenschaft, Burschenschaften, von SA, NSDAP und weiteren antisemitischen Organisationen auf dem Platz vor diesem Gebäude einen Scheiterhaufen. Gegenüber dem Hauptgebäude der Universität und unter den Scheinwerfern der Wochenschau zelebrierten sie den Höhepunkt der reichsweiten Aktion »Wider den undeutschen Geist«. Jedes ins Feuer geworfene Buch stand für Wissen und Werk von Menschen, die die Nationalsozialisten aus dem »Volkskörper« entfernen wollten.
Die 2013 erstmals gezeigte Ausstellung „Wer weiterliest, wird erschossen …“ informiert über Vorgeschichte, Durchführung und Bedeutung der Berliner Bücherverbrennung. Sie zeichnet die Stufen der Ausgrenzung von widerstrebendem Denken, die Gleichschaltung von Studierenden und Universität und die Wege ins Exil, ins KZ oder die innere Emigration nach. Im Mittelpunkt steht der nationalsozialistische „Memorizid“, die systematische Auslöschung von Idee, Werk und Präsenz der zu Unpersonen erklärten Menschen. Die Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 ist sein Fanal, bevor er in Vernichtungskrieg und Massenmord eskaliert. In den Schwierigkeiten um Erinnerung und Wiedergutmachung wirkt der „Memorizid“ bis heute nach.
Prekäre Erinnerungen
Aufarbeitung, Erforschung und Erinnern der in Berlin und mehr als 90 weiteren Städten abgehaltenen Bücherverbrennungen waren lange von bürgerschaftlichen Initiativen getragen und blieben so oft fragmentarisch, ereignis- und anlassbezogen.
Mit der „Deutschen Freiheitsbibliothek“ 1934 und Veranstaltungen zum 10. Jahrestag 1943 initiierten Autor*innen bereits im Exil das Gedenken. Nach dem „Tag des freien Buches“ 1947 führte die DDR den jährlichen Gedenktag fort. In der Bundesrepublik setzte er sich erst ab 1979 unter anderem Namen durch.
Anlässlich des 50. Jahrestages 1983 erschienen in Ost wie West Publikationen, die sich ausführlicher mit den Ereignissen vom 10. Mai 1933, den involvierten Personen, ihren Perspektiven und Lebenswegen auseinandersetzen. Am einstigen Ort des Geschehens erinnern seitdem eine Gedenktafel und seit 1995 die leeren Bücherregale des unterirdischen Mahnmals „Bibliothek“ an die Bücherverbrennung.
Forschendes Erinnern
In Vorbereitung des 70. Jahrestages engagierten sich Studierende und weitere Interessierte an der Humboldt-Universität (HU) in der „Stiftungsinitiative 10. Mai“. Sie erweiterten den Blick über das Ereignis hinaus, erschlossen weitere Wissensbestände und arbeiteten auf ein sichtbares und forschendes Erinnern hin. Die angestrebte Stiftung, die diese Arbeit als Zentrum für Vernetzung und Ressourcenbündelung verstetigen sollte, scheiterte in der Bankenkrise 2007/2008. Die Ideen und Ansätze führten Humboldt-Initiative, Moses Mendelssohn Zentrum weiter ‒ und schließlich die Macher*innen der hier gezeigten Ausstellung: die Historische Kommission der Verfassten Studierendenschaft in Berlin (HisKom).
2008 setzte das Student*innenparlament der HU die HisKom ein, um eine Ausstellung anlässlich des Universitätsjubiläums zu realisieren. In ihrer 2010 präsentierten 200-jährigen Geschichte des Studierens in Berlin standen Bücherverbrennung und Nationalsozialismus bereits im Fokus, bevor sie zum 80. Jahrestag 2013 eine eigenständige Ausstellung erstellte.
Heute, zur Wiedervorlage der Ausstellung nach 10 Jahren, 90 Jahre nach den Ereignissen, stellen sich neue Fragen und etliche Forschungslücken bestehen fort. Noch fehlen die Ressourcen für eine neue Präsentation: Forschendes Erinnern benötigt Zeit, Finanzen, Personal und einen „Ort zum Verorten“.
Stiftungsinitiative 10. Mai
Zur Initiatorengruppe der Stiftungsinitiative gehörten Anfang der 2000er Jahre die damaligen studentischen Aktivisten Rainer Wahls und Daniel Apelt, die beiden Philosophie- und Geschichtstudenten Werner Tress und William Hiscott sowie der Philosophiehistoriker Hans Christian Förster und der Wirtschafts- und Wissenschaftshistoriker Bernd Schilfert. Als Unterstützer der Gründungsveranstaltung 2001 wirkten der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski, der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth und der durch eine Publikation des heutigen Albrecht Daniel Thaer-Instituts ausgewiesene Erforscher des „Generalplan Ost“ Matthias Burchardt.
Neben der Vorlesungsreihe „Die Berliner Universität im Nationalsozialismus“ und weiteren Veranstaltungsformaten realisierte die „Stiftungsinitiative 10. Mai“ 2008 eine Ausstellung im Foyer des Universitätshauptgebäudes.
„Die Geschichte der Literatur und der Kunst ist zugleich eine Geschichte des Hasses und des Neides. Die Geschichte der Freiheit ist, im gleichen Atem, die Geschichte ihrer Unterdrückung […]. Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün.“
Erich Kästner auf der PEN-Tagung in Hamburg zum 25. Jahrestag der Bücherverbrennung 1958
Weiterlesen: Kurzfassungen der Tafeln der 2013er Ausstellung zur Bücherverbrennung