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Ausblick

weiterlesen und erinnern
Forschen, Studieren und Lehren nach dem Memorizid

Die Humboldt-Universität zu Berlin hat unter den Bedingungen gesamtdeutscher Wissenschaftspolitik einige Zeit gebraucht, den Fokus ihrer Aufmerksamkeit von den Glanzlichtern der an ihr hervorgebrachten Ideen, wissenschaftlichen Innovationen und Entdeckungen zu lösen. Unter der Mitwirkung der „Stiftungsinitiative 10. Mai“ begann ab 2001 eine Auseinandersetzung der Hochschule mit der eigenen Exklusionsgeschichte und ihren Beiträgen zum Vernichtungskrieg – sie ist nicht abgeschlossen. Das Leitbild der Universität von 2002 benennt „die Bücherverbrennung und die Beteiligung an der Verfolgung und Vertreibung ihrer Mitglieder“ als eines ihrer „dunkelsten“ Kapitel. Dieser Ausschluss bedeutete das Ende vieler wissenschaftlicher Karrieren, die Tilgung von Arbeiten, Ansätzen und Methoden. Im fachlichen Diskurs fehlen die meisten bis heute. Die Denkansätze der ins Exil und in den Tod getriebenen Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Student*innen gilt es wiederzuentdecken, die Autor*innen sichtbar zu machen und im Universitätsbetrieb präsent zu halten. Die Erinnerung an die Bücherverbrennung bietet hierfür einen Ansatzpunkt.

weiter forschen

Wesentliche Abläufe, Personen und Erscheinungsweisen der Bücherverbrennung sind bekannt. Übergreifende Fragen bleiben offen:

• Was bedeutet die Bücherverbrennung für die Kulturpolitik, Eroberungs- und Vernichtungspolitik, für das Vorgehen von Wehrmacht und SS in den eroberten und besetzten Gebieten (Ausrottung der polnischen Intelligenz, Internierung von Intellektuellen in Frankreich etc.)?

• Lohnt es, die Themen Exil, Widerstand und »innere Emigration« in ihren wechselseitigen Bezügen unter dem Fokus der Bücherverbrennung neu zu untersuchen?

• Was wurde aus den vertriebenen Wissenschaftler*innen?
Wie wäre eine interdisziplinäre Aufarbeitung der von ihnen abgebrochenen Arbeiten realisierbar?

• Wie lassen sich die aktiv betriebene wirtschaftliche Schädigung der Verfolgten und die bis heute bestehenden Vermögensverschiebungen systematisch erfassen?

• Was wirkte einer Restitution der gewaltsam abgenötigten Urheberrechte und Vermögenswerte entgegen? Welchen Einfluss hatten Kalter Krieg und wirtschaftliche Interessen der Nachfahren von Profiteur*innen?

• Ist eine juristische Aufarbeitung der Ereignisse geboten?

weiter erinnern

Der Memorizid ist wirkungsvoll. Vieles ist unwiederbringlich vergessen. Ein aktives Erinnern kann den Folgen entgegenarbeiten. Es gibt ein Mahnmal auf dem Bebelplatz, Gedenktafeln am Eingang der „Kommode“ und regelmäßige Veranstaltungen – keinen „Schlussstrich“.

• Von den verbrannten Werken fanden zuerst jene der „Stars“ des damaligen Literaturbetriebes in die Bibliotheken zurück. Inzwischen sind viele Werke indizierter Autor*innen wieder verfügbar, ohne jedoch gelesen zu werden – wirken hier Feindbilder der Nazis unausgesprochen fort?

• Die Bücherverbrennung steht im Schatten der weiteren Verfolgungsgeschichte. Sie hat mittlerweile einen Platz im öffentlichen Erinnern. Es gilt, ihre Voraussetzungen, Mechanismen und Folgen als Ergebnis einer konkreten historischen Entwicklung zu vergegenwärtigen. Erst daraus ermisst sich ihre Bedeutung für aktuelle Debatten um Zensur und Ausschlüsse, in denen Ähnlichkeiten mit dem historischen Ereignis behauptet werden.

• Wofür also soll der 10. Mai stehen? Das „freie Wort“? Das „freie Buch“? Neben dem Zugang zu den Schriften sollte die öffentliche Auseinandersetzung und die Sichtbarmachung ihrer Urheberschaft im Mittelpunkt der aktiven Erinnerung stehen.

• Inwiefern prägen die mit der Bücherverbrennung verbundene Ächtung von Personen und die daraus folgende Unverfügbarkeit erarbeiteten Wissens unsere heutigen Perspektiven? Von welchen Fragestellungen, Wertmaßstäben und Grundannahmen ginge eine „unverbrannte“ Wissenschaft, Literatur und Kunst wohl heute aus?

weiter verstetigen

Erinnern ist ein Prozess, der vielfältiger Anregungen bedarf. Er benötigt Orte, Dokumentationen und Gelegenheiten. Mahnmale, Stolpersteine oder Gedenktafeln können nur Anstoß geben. Ein aktives Erinnern muss zur gelebten Praxis im universitären Alltag werden.

• Verschiedene Publikationen und Website-Projekte machen die Orte der Bücherverbrennungen 1933, die betroffenen Autor*innen und Werke sowie vertiefte Informationen dazu verfügbar:

• Mit seiner „Bibliothek der verbrannten Bücher“ widmet sich das um die Erforschung der Bücherverbrennungen verdiente Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam der Aufgabe, 120 verbrannte Werke für Schulbibliotheken neu herauszugeben.

• Verschiedene Universitätsbibliotheken bemühen sich um eine Wiederbeschaffung, Zusammenführung und Aufstellung der 1933 verbrannten Erstausgaben.

• Mit einer Regalskulptur im Foyer der „Kommode“ entstand 2013 nach der Idee des Bookcrossing am Ort der Bücherverbrennung ein „Ort zum Lesen“.

• „Ein Ort zum Verorten“ ist das von Juliane Pfeiffer für die Historische Kommission entwickelte, 2017 im Fakultätsrat der Juristischen Fakultät präsentierte Konzept für einen Raum im Foyer der „Kommode“ zur Erinnerung an die Berliner Bücherverbrennung. Es harrt einer Umsetzung.

• Seit 2021 soll die Vermittlung der Pflichtfächer im Jurastudium „auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht“ erfolgen (§ 5a DRiG). Die Benennung der Leerstellen in den juristischen Bibliotheken seit 1933 gehört dazu.

Initiative Palandt umbenennen
Bis Juli 2021 trugen einige der bekanntesten Werke des juristischen Fachverlags C.H.Beck die Namen von NS-Juristen, z.B. der renommierte BGB-Kurzkommentar „Palandt“. Sein Namenspate Otto Palandt war von 1934 bis 1943 Präsident des Reichsjustizprüfungsamts und steuerte zu dem Werk lediglich ein Vorwort bei. Der Erfinder des juristischen Kurzkommentars, dieser bis heute erfolgreichsten Produktreihe von C.H. Beck, war der jüdische Verleger Otto Liebmann. Er sah sich 1933 gezwungen, sein Verlagshaus an Heinrich Beck zu verkaufen. Generationen von Jurastudierenden haben mit dem »Palandt« gearbeitet, nur wenige diese Kontinuität skandalisiert. 2017 forderte eine studentische Initiative fachkundig und medienwirksam die Umbenennung des BGB-Kommentars. Schließlich mit Erfolg: Der „Palandt“ heißt seit 2022 „Grüneberg“ – sein Urheber Liebmann bleibt weiter unerwähnt.

Titel der Ausstellung 2023

Wir haben am 10. Mai 2023 die 2013 entstandene Ausstellung in ihrer ursprünglichen Gestalt wieder aufgebaut. Vieles ließe sich mit dem Abstand von zehn Jahren ergänzen, einiges korrigieren. Wir sammeln Ideen und Hinweise für eine Ausstellung zum 100. Jahrestag der Bücherverbrennung 2033 und freuen uns über Beiträge: Entweder per E-Mail oder direkt an der Pinnwand.