Hans Christian
Förster / Bernd Schilfert: Auf den Spuren eines
ungewöhnlichen Forschers und Unternehmers. Eine Reflexionsreise
ins Anhaltinische Während
das offizielle Berlin als Bundes- und Landeshauptstadt fleißig
Planspiele (oder sollte man sagen „Glasperlenspiele“)
betreibt hinsichtlich der Location der Stadt als Player im
Metropolenpoker, ist der rasende Reporter der ostdeutschen
Elitezeitschrift „Na-Und!“ eher als
Graswurzelinterviewer unterwegs. Er hört – als
journalistischer Felix Krull – nicht nur das, was noch gar
nicht ausgesprochen wurde. Andererseits hat er auch Kunde von jenem,
was bereits vergangen und vergessen scheint. So gesehen ist er ein
Widergänger alter Wahrheiten. Er
ist also ein zuspätgekommener Romantiker, ein
rückwärtsgewandter Prophet, der die verschiedenen
Vergangenheitsbilder voraus sagt, der also neue Kunde von früher
gibt. Als rückwärtsgewandter Prophet ist er ein
Desillusionist der Zukunft, denn für ihn war alles schon einmal
dagewesen.
Sein
Metier ist der Blick aufs Haupt der Meduse, natürlich
gespiegelt (oder wie man seit der Aufklärung sagt: reflektiert)
Es ist gespiegelt, denn der direkte Blick würde ihn erstarren
lassen und Dogmatiker gibt es in den Medien – das weiß
Gott Merkur zur Genüge – genug. Außerdem
hielte er es mit Zarathustra: „Nur
Narr! nur Dichter! Und
wer Zarathustara sagt, muss auch Nietzsche sagen, und da sind wir
schon im dem Umfeld, das einen Graswurzelreporter interessieren
sollte. Da sind Röcken oder auch Naumburg, also Ortschaften der
Provinz Sachsen. 1844, just am Königsgeburtstag (in jeder
Monarchien ein Feiertag) kam ein Pfarrerssohn zur Welt, der den
Namen des Königs erhielt und als Friedrich (Wilhelm) Nietzsche
bekannt und berüchtigt wurde, weil er „mit dem Hammer
philosophieren“ wollte. Während
das alte Hellas (Nietzsche war als Absolvent des
sächsisch-anhaltinischen „Fürstenschule“ von
Schul-Pforta selbst ein Philhelene) in Streit geriet über die
Ehre Herkunftspolis der Weisen des Landes zu sein, allein sieben
Städte stritten darum, Geburtsort Solons, des großen,
weisen Gesetzgebers, gewesen zu sein, haben Verantwortliche des
Landes nichts dagegen, dass Röcken – der berühmte
Geburtsort des neuen Zarathustas – weggebaggert werden sollte,
wenn nur, wenn nur, mit diesem Quäntchen Braunkohle –
endlich, endlich – der Aufschwung Ost auf Volldampf komme in
der sterbenden Region. Und
haben wir schon den ersten Lokaltermin: Sachsen Anhalt. Es ist das
jüngster der „neuen“, eine fast tausendjährige
Geschichte repräsentierenden Bundesländer. Also dieser
Libero entstand in Gefolge der alliierten Auflösung Preußens
1947. Allein darin steckt viel historische Ironie. Waren es doch
gerade die anhaltinischen Fürstentümer, die Preußen
ihre Existenz zu verdanken haben, weil seit dem 18. Jahrhundert
viele ihrer Fürsten in Hohenzollerschen Dienste standen.
Also
Sachsen-Anhalt – ein ähnliches geographisch-politisches
Kunstgebilde wie NRW entstand aus dem Freistaat (Republik) Anhalt
und der preußischen Altmark mit Magdeburg und Erfurt sowie der
sog. ‚Provinz Sachsen’, jenem abgetrennten Teil des
alten gleichnamigen Königreiches, dass es verlor, weil es nach
alter Sachsenart zu lange zögerte zwischen zwei Opportunitäten
und so den Absprung von Napoleon zu spät realisierte. Schon
1813/14 galt Gorbatschows Weisheit: Wer zu spät kommt, bestraft
das Leben.
Der
Graswurzelreporter will sich aber nicht in Landkartearithmetik
vertiefen, und so schnell wie möglich auf den PUNKT kommen.
Anhalt also, jene Republik von 1918 hatte eine große
Tradition, eine ungewöhnliche Geschichte – trotz ihrer
Kleinheit. Nach vielen Teilungen und Wiedervereinigungen machten im
17. Jahrhundert vier Herzogtümer plus Residenzstadt die
askanischen Fürstentümer aus: Dessau, Zerbst, Köthen
und Bernburg. Eine russische Zarin, wohl die größte in
der russischen Geschichte, gehörte zu den Töchtern
Anhalts. Die Anhaltiner schrieben europäische Geschichte mit. War
man doch versippt mit allen Königs- und Fürstenhäusern
der alten Welt. Aber man war nicht nur mit allen Kronen verwandt,
man musste auch vielen Kronen dienstbar sein. Denn die Herkunft von
Geblüt machte nicht satt und man gebot nur über Länder
– größere Gutswirtschaften – die wenig
abwarfen, so dass ein „Nebenerwerb“ von Nöten war.
Und man verdingte sich international. Klein
aber oho, wollte man sein und war es seit dem 17. Jahrhundert auch.
Feldherrendienste pflegten die Anhaltiner Sortiment zu haben. Sie
waren – sagt man es italienisch – Condottieri. Sie
befestigten in Deutschland eine Tradition, die in Italien aufkam und
mit dem Namen und der Gestalt des Federigo da Montefeltro, dem
Herzog von Urbino (1422-1482) verbunden war. Es war ein Ort von
legendärem Ruf, der nicht nur auf dem Ruhm des Feldherren,
sondern vor allem auf seiner humanistisch-kulturellen Aura basierte.
Urbino glich einem kulturellen Vulkan, eines Laboratoriums der
Moderne, das seines Gleichen suchte. Klein, aber oho! Der
militärische Dienstleistungsunternehmer, diese private
Warlords, legitimierte seinen Feldherrenruhm mit dem kriegerischen
Gegenprogramm: humanistischer Bildung und bedeutenden
Kulturleistungen. So kamen aus Urbino bedeutende kulturelle
Exportschlager der italienischen Renaissance. Die
Theorie und Kultur des Hofmannes, des neuen „zoon politikon“,
denn Politik war zu jener Zeit nur das Privileg der Höfe. In
Dialogen wurde über die Eigenschaften des idealen Hofmannes
und der Hofdame diskutiert. Baldassare Castiglione (1478-1526)
entfaltete diesen Disput in seinem Werk „Cortegianos“
(1507), dessen Einfluss auf die Höfe Europas überhaupt
nicht zu unterschätzen ist.
In
Urbino beginnt auch die Geschichte der großen Büchersammler,
der Bibliotheken. Der Herzog Federigo war Krieger und zugleich
biblophil. Mehr als 700 Bände, meist wertvolle Handschriften,
umfassten die Sammlung.
Die
italienische Gartenkunst als Bestandteil höfischer
Prachtentfaltung, die hängenden Gärten von Urbino und die
Orangerie.
Und
aus Urbino kamen zwei der bedeutendsten italienischen Maler: Piero
della Francesca (1410-1492) und Raffael Santi (1483-1520), der
letztere ein kongenialer Zeitgenosse von Michelangelo und Leonardo
da Vinci im Florenz der Medici.
Zwar
ginge der Hof von Urbino in einem kulturellen Abendrot ohne
Gleichen, das schon Castigliones „Cortegianos“
widerspiegelte, im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts unter, doch
diese kulturellen Standards wurden über die Höfe von
Florenz, Ferrara, Mailand, Mantua, Rom und über die
Adelsrepublik Venedig in die Lombardei und von dort nach Burgund,
Frankreich und in das gesamte nördliche Europa exportiert. Auch
in das kleine Anhalt? Es
klingt ungewöhnlich und doch war es möglich. So lebte zu
Beginn des siebzehnten Jahrhunderts Fürst Ludwig von
Anhalt-Köthen (17. Juni 1579 - † 7. Januar 1650), er
gehörte zu den Gründern der ersten deutschen
Sprachgesellschaft, der „Fruchtbringenden Gesellschaft“,
1617. ...
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Nur Buntes redend,
aus Narrenlarven bunt
herausredend,
herumsteigen auf lügnerischen Wortbrücken,
auf
Lügen-Regenbogen
zwischen falschen Himmeln
herumschweifend,
herumschleichend -
nur Narr! nur Dichter! …“